Architektur, Bauingenieurwesen und Stahlbeton

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden in Freiburg zahlreiche Gebäude errichtet, wie z.B. die Académie Sainte-Croix in Pérolles. Um 1903.
© BCU Fribourg, Fonds Albert Ramstein

Wie wir bereits dargelegt haben, sollte mit der Gründung des kantonalen Technikums die Industrialisierung im Kanton vorangetrieben werden. Aber diejenigen, die auf die Gründung einer Schule drängen, führen als Argument indes häufig den Mangel an Fachkräften im Bausektor an. Ende des 19. Jahrhunderts herrscht in Freiburg ein Fachkräftemangel und es muss oftmals auf Bauleute aus Italien zurückgegriffen obwohl man sich der Karriere- und Wohlstandsmöglichkeiten für die Einwohner des Kantons durchaus bewusst ist, sofern sich diese im Baubereich ausbilden.

Bereits im Oktober 1899 umfasst die technische Abteilung der Schule eine École de construction de bâtiment (Schule für Gebäudebau).

«Die École de construction du bâtiment […]  bildet Bauunternehmer, Bauleiter, Vorarbeiter, Bauzeichner usw. aus.»[1]

In den ersten 25 Jahren wird nicht genau ersichtlich, welche Rolle die Architektur und das Bauingenieurwesen im Ausbildungsprogramm der École de construction du bâtiment spielt. Zwischen 1910 und 1913 ist die Rede von einer École du bâtiment et de construction civile. Im Bericht 1911-1912 wird ein «ein völlig verändertes Ausbildungsprogramm, in dessen Rahmen die École du bâtiment und die École de construction civile zusammengefasst wird» erwähnt. Während des Ersten Weltkriegs kommt es zu einer weiteren Änderung: «Aufgrund des Weggangs eines ausländischen Professors sind wir auf die École du bâtiment zurückgekommen. Deren Ausbildungsprogramm wird dahingehend ergänzt, dass unsere Schüler eine gründliche technische Ausbildung erhalten.»[2] 1916 ist die Rede von einer École du bâtiment bzw. einer École d’architecture.

François Riedo, ehemaliger stellvertretender Direktor der Schule und ausgewiesener Kenner ihrer Geschichte, half uns, das Hin und Her zwischen den verschiedenen Bezeichnungen zu verstehen. In den ersten Jahren der Schule findet zwischen zwei Architekten der Schule – Humbert Donzelli und Joseph Troller – ein wahrer Schlagabtausch statt. Donzelli wurde 1902 eingestellt, Troller im Jahr 1906. Donzelli will das Ingenieurwesen stärken, Troller konzentriert sich auf die Architektur. Troller setzt sich mit der École du bâtiment durch, als Donzelli nach Italien geht: «Am 4. Januar ist Herr Donzelli nach Italien gereist. Seine Kurse werden zwischen seinen Kollegen aufgeteilt.»[3]

In einer im Archiv der HEIA-FR aufbewahrten Fassung des Jahresberichts des Technicums entdeckt man 1919 den handschriftlichen Studienplan der neu gegründeten Bauleiterschule.

Um das Ganze noch etwas unübersichtlicher zu machen, wird 1918 die École des chefs de chantier eröffnet – die heutige Bautechnische Schule. 1919 wird sie sowie ihr Ausbildungsprogramm im Jahresbericht der Schule erstmals erwähnt: «Die École des chefs de chantier vermittelt Bau- und Strassenbauarbeitern die technischen Kenntnisse, die für eine ordnungsgemässe Ausübung ihres Berufs erforderlich sind.»[4] Die Ausbildung dauert fünf Semester.

Die École des chefs de chantier wird in die Lehrlingsabteilung integriert. Man könnte meinen, dass Troller den Weggang von Donzelli genutzt hat, um die „edle“ Architektur in der École du bâtiment zu belassen und einen Grossteil des Bauingenieurwesens in die École des chefs de chantiers zu verlegen[5].

Das Bauingenieurwesen verschwindet jedoch nicht vollständig aus der École du bâtiment. «Die Schüler der École du Bâtiment beginnen die Bedeutung, die der praktischen Geometrie und dem Bauwesen zukommt, zunehmend zu schätzen. Es ist sogar schon vorgekommen, dass Absolventen dieser Schule gute Anstellungen gefunden haben, gerade weil ihre Ausbildung auf diesem Gebiet ergänzt wurde.»[6] Es ist jedoch ganz klar, dass diese Kurse an der École du Bâtiment nicht im Mittelpunkt des Unterrichts stehen, sondern eher am Rand unterrichtet werden.

Paradoxerweise nimmt die École du Bâtiment nach dem Weggang von Troller im Jahr 1946 endgültig den Namen École d’architecture an. «Die Reorganisation der École du bâtiment in die École d’architecture steht im Zeichen des wohlverdienten Ruhestands nach 40 Jahren engagierter Lehrtätigkeit von Professor Joseph Troller. Überdies hatte sie die Anstellung von neuen Lehrpersonen zur Folge: Emilio Antognini, Marcel Colliard und Denis Honegger.»[7]

In dem Buch „Les nouveaux bâtiments de l’Université de Fribourg“, herausgegeben von den Editions de la revue romande (1941), entdecken wir die Namen all jener, die am Bau der Université de Miséricorde beteiligt waren. Viele von ihnen haben eine Verbindung zum Technicum. In der Liste der Stahlbetoningenieure ist der Name von Henri Gicot verkrüppelt.

Miséricorde: ein Manifest der Moderne

Diese Neuzugänge verdeutlichen die Einbindung des Technikums in die damalige Zeit. Denis Honegger hat soeben in Zusammenarbeit mit Fernand Dumas – ein Schüler von Joseph Troller, der das Technikum im Jahr 1912 abgeschlossen hatte – die Universität Miséricorde gebaut. Emilio Antognini, der im Büro der beiden Architekten Honegger und Dumas arbeitete, fungierte bei diesem Bauprojekt als Bauleiter.

Tänzerinnen (Yve-Luce) in Bewegung auf dem Dach der Universität Fribourg, Standort Miséricorde, 1948
© BCU Fribourg, Fonds Jacques Thévoz

Das neue Universitätsgebäude hinterlässt einen tiefen Eindruck und wird von den Kritikern gefeiert. Einer der Gründe war der ambitiöse Entscheid, voll auf Beton zu setzen. «Miséricorde wurde aus Stahlbeton gebaut, ein Ende der 1930er-Jahre relativ neues Material.»[8] Vier auf Beton spezialisierte Ingenieure waren am Bau beteiligt, darunter Henri Gicot, der am Technikum das Fach Stahlbeton unterrichtete.

Misericordia University, außen, Baustelle, Fußgängerbrücke, zwischen 1938 und 1940.
© Service des biens culturels Fribourg, Fonds Recensement des biens culturels Fribourg.

Der Beton wird im Technikum rasch in den Unterricht integriert. Es sei daran erinnert, dass beim Bau der Staumauer Magere Au «zum ersten Mal in Europa ein Ingenieur Beton für ein solches Bauwerk verwendet hat»[9]. Aus den Jahresberichten der Schule geht hervor, dass der Unterricht im Fach Beton ab Ende der 1910er-Jahre eine wichtige Rolle spielte.

Zwei der Schuldirektoren der Jahre 1920-1940, Paul Joye und Edmond Brasey, sind Physiker, die sich für Beton interessierten. In seinen Forschungsarbeiten an der Universität beschäftigte sich Paul Joye vor allem mit Elektrizität und Beton. Nachdem er die Leitung der FEW übernommen hatte, war er auch einer der Initiatoren für den Bau der Staumauer von Rossens. Edmond Brasey ist ebenfalls am Bau der Staumauer beteiligt. Er wird er von den FEW mit der Kontrolle der Messungen an der Staumauer beauftragt. Dazu entwickelt er ein neues Gerät (den téléhumètre), mit dem die Feuchtigkeit in einem Betonbau gemessen werden kann.

Rossens Damm, Bau, Arbeiter vor dem Betonwerk, 1946.
© BCU Fribourg, Fonds Mülhauser

François Riedo fasst zusammen: «Man kann in Freiburg wirklich von einem Beton-Cluster sprechen». Noch heute beschäftigen sich die Forscherinnen und Forscher der HTA-FR mit Beton, um diesen weiterzuentwickeln, u.a. im Rahmen von Holz-Beton-Verbundsystemen.

Der Bau der Staumauer von Rossens zwischen 1944 und 1948 wird Henri Gicot anvertraut, dessen Rolle am Technikum wir bereits erwähnt haben. «Weiter konstruierte er die Brücken Javroz bei Charmey (1949-51) und Galterngraben in Freiburg (1958-60).»[10]

Beim Bau der Staumauer und der Brücken sowie dem Ausbau der Strassenverkehrsachsen wird ersichtlich, dass solide Fachkräfte im Ingenieurwesen ausgebildet werden müssen. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass 1959 die Abteilung Ingenieurwesen gegründet wird und auch rasch Erfolg hat.

Rossens Damm, Konstruktion, Betonarbeiten, 1947.
© BCU Fribourg, Fonds Mülhauser

Im Winter 1960-1961 sind in der Abteilung für Ingenieurwesen 18 Studenten und in der Abteilung für Architektur 11 eingeschrieben. Die École des chefs de chantiers zählt 44 Studenten. Im Sommer 1961 sind es 14 in Ingenieurwesen, 13 in Architektur. Im Winter 1961-1962 studieren 26 Studenten Ingenieurwesen, 16 Architektur und 48 Bauleitung. Im Sommer 1962 sind es 30 Studenten in Ingenieurwesen und 14 in Architektur.

Die Abteilungen Architektur und Ingenieurwesen existieren somit seit 1959 nebeneinander an der Schule. Im Laufe ihrer Geschichte hat die Schule einen wesentlichen Beitrag zur Ausbildung von Baufachleuten geleistet und einen Sektor gestärkt, der heute noch wichtig für die Freiburger Wirtschaft ist.

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[1] Le Musée industriel, L’École des arts & métiers, Les cours professionnels d’adultes, Les examens d’apprentis, 1899-1900, S. 30

[2] Technicum cantonal, Ecole des arts et métiers, Fribourg, Rapport 1913-1914 & 1914-1915, S. 13

[3] Technicum cantonal, Ecole des arts et métiers, Fribourg, Rapport 1913-1914 & 1914-1915, S. 5

[4] Technicum cantonal, Ecole des arts et métiers, Fribourg, Rapport 1918-1919, S. 5

[5] Technicum cantonal, Ecole des arts et métiers, Fribourg, Rapport 1918-1919, S. 5

[6] Technicum cantonal, Ecole des arts et métiers, Fribourg, Rapport 1919-1920, S. 30

[7] Technicum cantonal, Ecole des arts et métiers, Fribourg, Rapport 1945-1946, avec Notice du cinquantenaire

[8] https://www.espazium.ch/fr/actualites/luniversite-misericorde

[9] https://www.espazium.ch/fr/actualites/la-sarine-premiere-riviere-europeenne-domptee-par-du-beton

[10] https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/031359/2005-09-07/