Pädagogische Ansätze neu überdenken

Marc-Adrien Schnetzer ist seit 2003 als Mathematikprofessor an der HTA-FR tätig. Seit 2008 ist er akademischer Leiter der Schule. Seine Aufgaben konzentrieren sich auf drei Schwerpunkte: die Qualität der Studiengänge gewährleisten, das Ausbildungsangebot den beruflichen Erfordernissen anpassen und die Umsetzung von strategischen Projekten begleiten.

Als Sie 2003 an die Schule kamen, war diese gerade daran, das Bologna-System zu integrieren. Inwiefern waren Sie als Mathematikprofessor von dieser Reform betroffen?

Die Änderungen im Zusammenhang mit dem Bologna-Prozess waren damals noch ziemlich geringfügig. Es ging vor allem darum, ein neues Vokabular zu verwenden, beispielsweise mit der Einführung der Begriffe der ECTS-Credits oder der Module. In Bezug auf den Unterricht hat sich nur wenig geändert.

In der Realität braucht die Einführung von solchen Änderungen Zeit. Das Bologna-Modell zielt darauf ab, einen europäischen Raum der Hochschulbildung zu schaffen, indem insbesondere die Mobilität gefördert wird. Andererseits hat sich der Unterricht in den letzten zwanzig Jahren gewandelt: Die reine Wissensvermittlung wurde durch einen Lernprozess abgelöst, bei dem das konzeptuelle Wissen „im Einsatz“ geübt wird. Das bedeutet nicht, dass die Theorie keine Rolle mehr spielt, ganz im Gegenteil.

Derzeit sind wir bezüglich der Form auf dem aktuellsten Stand, der Bologna-Prozess ist jedoch noch nicht zu 100% umgesetzt. Der gegenwärtige pädagogische Ansatz ist generell ziemlich klassisch und richtet sich nach der Verfügbarkeit von Räumen und Lehrpersonen und weniger nach den Bedürfnissen der Studierenden und der Lehrkräfte, was nur wenig Spielraum für eine individuelle Gestaltung des Unterrichtsstoffs lässt. Zudem sind unsere Räume nicht für den Unterricht im 21. Jahrhundert konzipiert. Schliesslich hat uns die Pandemie (Anm.d.Red.: Wir werden im nächsten Blogbeitrag darauf zurückkommen) auch die neuen Möglichkeiten eines asynchronen Unterrichts vor Augen geführt, indem insbesondere digitale Hilfsmittel zum Einsatz kommen, die in Bezug auf eine Personalisierung der Ausbildung interessant Ansatzpunkte darstellen. Präsenzunterricht wird oft aus Prinzip und nicht aus einer Notwendigkeit heraus verlangt. Es gibt Situationen, in denen ein Teil der Arbeit im Vorfeld und im jeweiligen Tempo der Studierenden vorbereitet werden kann. Die Präsenzzeit wird dann für den Austausch und zur Vertiefung verwendet. Auf diese Weise sollen die Studierenden dabei unterstützt werden, ihre Kenntnisse besser zu strukturieren und sich das Wissen anzueignen. Wie wir in den vergangenen beiden Jahren gesehen haben, ist natürlich auch das Lernen in den Ateliers und Laboren von grossem Wert. Hier macht der Präsenzunterricht absolut Sinn.

Diese Änderung des pädagogischen Ansatzes, bei dem die „komplexe Handlungsfähigkeit“ im Zentrum steht, ist keine Selbstverständlichkeit: Sie stösst auf Schwierigkeiten wie beispielsweise die den Lehrpersonen zur Verfügung stehende Zeit und – in einer Übergangszeit – die vorhandenen Mittel zur Untersuchung und Erprobung innovativer Methoden. Der neue Ansatz bietet jedoch den Vorteil, dass er die Autonomie der Studierenden fördert und für sie sinnstiftend ist. Dies sollte sich positiv auf ihren Einsatz und ihre Motivation auswirken. Ich denke, dass hier die wichtigste Herausforderung für unsere Schule für die Jahre 2021-2025 liegt, zusammen mit der engeren Verknüpfung von Lehre und angewandter Forschung.

Was ändert sich mit der Einführung des Bologna-Modells für die Studierenden?

Konkret bestanden die wesentlichen Änderungen in einer besseren Übersicht über die Ausbildungsinhalte und der Einführung von „Modulen“, mit denen nicht mehr das ganze Studienjahr wiederholt werden muss, wenn einige Fächer nicht bestanden werden. Diese „Modularisierung“ ist ein Instrument, das die Mobilität der Studierenden im Hochschulbereich fördern soll, indem die Möglichkeit gegeben wird, Studierende durch die „Anrechnung von Äquivalenzen“ in bestimmten Bereichen zu befreien. Diese Mobilität ist bei uns nach wie vor eine Randerscheinung, zweifelsohne, weil die Modularisierung nicht über ein formales Stadium hinaus weiterentwickelt wurde. Eine weitere Folge von Bologna ist die Einführung eines Qualitätssicherungssystems, das insbesondere festlegt, was unter einer hochwertigen Ausbildung zu verstehen ist und was von einer Hochschulabsolventin oder einem Hochschulabsolventen erwartet wird. In der Praxis wurden die früheren Ausbildungsprogramme einfach in einen Bachelor-Studiengang umgewandelt und die Module als Kompensationsgruppen konzipiert. Erst in den letzten drei Jahren und im Zuge der Überlegungen zu den Rahmenlehrplänen werden die Ausbildungsprogramme kohärenter.

Eine weitere wichtige Änderung war die Verkürzung der Studienzeit, indem die Bachelorarbeit im letzten Semester und nicht mehr danach geschrieben wird.

Eine letzte wichtige Änderung bestand in der Einführung des Masterstudiengang, der den Studierenden die Möglichkeit bietet, ihr Studium fortzusetzen. Mit diesem zweiten Zyklus ist die Schule in der Lage, den Studierenden nach ihrem Grundlagenstudium ein weiterführendes Studium anzubieten – sie können sich im Rahmen einer auf die Forschung ausgerichteten Grundausbildung spezialisieren. Dieses Modell ist das Standardmodell von Bologna. Die aktuellen Diskussionen drehen sich um die Möglichkeit, dass auch Hochschulen Doktortitel verleihen können. Derzeit ist diese Einführung aufgrund unserer Zusammenarbeit mit den Universitäten und ETHs nicht erforderlich.

Wie sieht es mit den Studierendenzahlen aus? Hat sich die Einführung des Bologna-Modells auf diese Zahlen ausgewirkt?

In den fünf Jahren nach seiner Einführung im Jahr 2008 konnten wir zu Beginn jedes Studienjahres eine Zunahme von 10 bis 12% verzeichnen. 2016 haben wir mit 936 Studierenden auf Bachelor-Stufe einen Höchststand erreicht. Ich denke nicht, dass dies auf die Einführung des Bologna-Modells zurückzuführen ist.

Diese Zunahme wirkte sich auf unsere Räumlichkeiten aus: Wir mussten Räume im Beauregard, an der Route de la Fonderie, der Route des Arsenaux, auf dem blueFACTORY-Gelände, im MIC usw. mieten. Dies kommt in der Geschichte der Schule nicht zum ersten Mal vor. In den ersten Jahren des Bestehens der Schule am Ende des 19. Jahrhunderts war der Unterricht ebenfalls über die ganze Stadt verteilt. Dennoch bedeutete diese „Dislozierung“ eine Zäsur im modernen Leben der Schule. Wir sind ganz klar keine Schule mehr, an der sich alle kennen und sich begegnen.

Heute schwanken die Zahlen nur geringfügig und sind insbesondere von der demografischen Entwicklung abhängig.

Haben sich die Studiengänge seit Ihrem Amtsantritt als stellvertretender Direktor im Jahr 2008 verändert?

Zu erwähnen ist die Neugestaltung des Angebots im IT-Bereich, indem die Ausbildungen in Informatik und Telekommunikation durch einen einzigen Studiengang in Informatik und Kommunikationssysteme ersetzt wurden. In Freiburg ist dies der einzige neue Studiengang, der seit 2008 geschaffen wurde. Davor haben wir auch eine neue Vertiefung „Internet und Kommunikation“ im Studiengang Telekommunikation eingeführt, deren letzten Diplome 2021 verliehen wurden. Es gab auch einen berufsbegleitenden Master in Architektur, der schliesslich aufgegeben wurde. Ansonsten ist das Studienangebot stabil und die Studierenden haben nach wie vor die Möglichkeit, sich gute Grundlagen anzueignen, bevor sie sich spezialisieren. Stabilität ist nicht gleichbedeutend mit Untätigkeit. Wir wollen weiterhin Studiengänge anbieten, in der die Interdisziplinarität nicht zu kurz kommt.

Stabilität ist wichtig, denn sie bedeutet auch, dass der Lehrplan nicht jedes Mal neu erfunden wird, sobald ein neuer Modetrend auftaucht. Für einen neuen Studiengang sind zwei Jahre Vorarbeit nötig. Die Studiengänge sind stabil und um uns den Bedürfnissen der Freiburger Wirtschaft anzupassen, entwickeln wir Partnerschaften mit Unternehmen und Berufsverbänden. So haben wir vor kurzem mit drei regionalen Partnern im Sommer ein ergänzendes interdisziplinäres Programm für ausgewählte Studierende im Bereich Robotik und Mechatronik angeboten.

Verfügt die Schule über genug Lehrpersonen?

Derzeit besteht die grösste Herausforderung darin, die Zahl der Professuren zu erhöhen. Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass der Kanton Freiburg ein Budget zu befolgen hat. Dennoch ist die Zahl der Studierenden seit 2008 um einen Drittel gestiegen und unsere Aktivitäten in der Angewandten Forschung haben nach der Einführung des Gesetzes über die HES-SO Freiburg deutlich zugenommen. Die Zahl der Professorinnen und Professoren wurde nicht in gleichem Masse erhöht. Dies ist jedoch eine Voraussetzung, um unsere Ziele zu erreichen.

Und die Räumlichkeiten?

Das derzeit wichtigste Projekt ist die Verlegung des Studiengangs Architektur auf das blueFACTORY-Gelände, womit die Rückkehr der Bautechnischen Schule auf die Pérolles-Ebene ermöglicht wird. In den kommenden zwanzig Jahren werden die Räumlichkeiten gleichwohl ein wichtiges Thema sein. Im Zuge der Entwicklung der pädagogischen Ansätze wird die Schule vor allem mehr Räume benötigen, die den neuen Unterrichtsformen angepasst sind. Der Unterricht der Zukunft wird in Form von Gruppenarbeiten und Workshops stattfinden und Räumlichkeiten erfordern, in denen Diskussionen möglich sind. Es fehlt uns zudem an grossen Hörsälen.

Eine abschliessende Frage: Mit welchen Aufgaben beschäftigen Sie sich in Ihrer Funktion am meisten?

Im Allgemeinen besteht meine Aufgabe darin, den Rhythmus des akademischen Jahres vorzugeben, indem ich die Studiengänge in neuen Situationen unterstütze und die Entwicklungen begleite. Ich sehe dies als eine Dienstleistungsfunktion. Zudem muss ich Entwicklungen antizipieren und auf Bedürfnisse eingehen. Schliesslich besteht ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit darin, an der Definition und der Umsetzung der Strategie des Bereichs Ingenieurwesen & Architektur der HES-SO mitzuwirken (Anm.d.Red: Dieser Bereich wird aus den sechs Hochschulen gebildet, die Ingenieur- oder Architekturstudiengänge anbieten, bzw. die Hochschulen von Freiburg (HTA-FR), Genf (HEPIA), Yverdon (HEIG-VD), Neuenburg (HE-Arc Ingénierie), Sitten (HEI-VS) und Changins (Fachhochschule für Weinbau und Önologie)). Diese Organisation erfordert ein gewisses Mass an Koordination und Flexibilität. Eine Vereinheitlichung sollte zugunsten einer Harmonisierung auf ein Minimum begrenzt werden.

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